Die neue Zuchtgeschichte des Hovawarts
Bis Anfang 2020 waren in vielen Rasse-Monographien über den Hovawart zur Zuchtgeschichte sehr übereinstimmend Sätze zu lesen wie "Es wurde zunächst ein Kuvaczwurf eingetragen, dann ein Leonbergerwurf", ohne dass die Autoren jemals erklärt haben, wie sie zu diesen Erkenntnissen gekommen sind. Immer wieder wurden Grafiken abgebildet mit dem Verlauf der prozentualen genetischen Anteile von Kuvascz, Leonberger, Neufundländer, Deutschem Schäferhund, Tyhund und afrikanischem Wildhund in der Hovawart-Population im Zeitraum 1927-1982.
Anfang 2019 erhielt ich ein Exemplar des ersten mit Schreibmaschine geschriebenen Hovawart-Zuchtbuchs, das den Zeitraum 1922-1950 umfasst. Darin waren auch sämtliche Hunde genannt, die die Hovawart-Zucht begründeten - beginnend mit einem Rüden Geburtsjahr 1915 - Moor Barniske! Viele der zuvor gelesenen Details der Zuchtgeschichte ließen sich nun anhand der vorliegenden Daten nachvollziehen. Aber es gab auch Widersprüche und z.T. unklare Aussagen.
Da waren z.T. Namen zu lesen, die üblicherweise in der kontrollierten Rassehunde-Zucht verwendet werden, wie z.B. Ortrud Husdan, Arko v. Schwaben, Asta v. Mondkuhlenweg, Wolf v. Spiegelberg, Alfa v. Bodenstein, usw. Es musste doch darüber in zeitgenössischen Zuchtbüchern der Leonberger, Kuvascz, Neufundländer oder Schäferhunde Aufzeichnungen geben.
Der erste im Zuchtbuch 1922-1950 aufgeführte Wurf, der H-Wurf des Züchters König, gilt als der Beginn der Hovawartzucht und begründet mit dem Geburtsjahr 1922 auch das 100-jährige Rassejubiläum im Jahr 2022. Dieser Wurf wird in der einschlägigen Literatur bisher als Kuvascz-Wurf beschrieben. Der zugehörige Wurf-Meldeschein ist beim HVS in Kopie archiviert. Vater "Baron" und Mutter "Ortrud Husdan" und die vier Nachkommen mit den Zuchtbuchnummern 1-4 sind aufgeführt. Auf dem HVS Wurfmeldeschein sind Züchter, Wurfdatum, Wurfstärke und Geschlechterverhältnis aufgeführt, aber auch die komplette Wurfstärke (5/4) und die Information, 2/3 Hunde bei der Mutter zur Aufzucht verblieben sind, drei Rüden zu einer Amme gegeben wurden, und dass insgesamt vier Rüden verstorben sind.
Schon die handschriftliche Anmerkung beim Rüden Baron "Sogen. Altschlägiger Schäferhund" ließ Zweifel an der Interpretation als Kuvascz-Wurf aufkommen.
Anhand des Geburtsdatums hat die Geschäftsstelle des Vereins für Deutsche Schäferhunde (SV) einen vollkommen identischen Wurfeintrag im SV-Zuchtbuch gefunden. Für das Jahr 1922 wurde ins SV-Zuchtbuch der H-Wurf „Wendhusen“ des Züchters "Curt König - Thale a. Harz" eingetragen. Wurftag 03.04.1922, Wurfstärke 5/4. U.a. finden sich hier die Hündinnen Helma Wendhusen SZ 156217 (SchH, Farbe sigrdRü - silbergrau dunkler Rücken) und Herma Wendhusen SZ 156218 (SchH, Farbe grb - graubraun), die später die Hovawart-Körung bestanden haben.
Keine Leonberger unter den Gründertieren
Der zweite Wurf im Zuchtbuch 1922-1950 des Züchters Fangmann aus Thale wird in der Literatur bisher als Leonberger-Wurf beschrieben. Die aus dieser Verbindung hervorgegangene Hündin Karin Fangmann ist eines der Gründertiere der Hovawart-Zucht. Auch für diesen Wurf ist im HVS der entsprechende Wurfmeldeschein in Kopie archiviert. Hier ist alleine aus dem Wurfmeldeschein die Schäferhund-Herkunft ableitbar, denn für die meisten Ahnen inklusive der Eltern sind die Schäferhund-Zuchtbuchnummern mit den Namen angegeben. Beim Vater und Mutter sind bei der Zusammenstellung des Zuchtbuchs außerdem Übertragungsfehler aus den usrpünglich sicherlich handschriftlich geführten Dokumenten vorgekommen. Der Vater "Arko v. Schwaben" heißt in Wirklichkeit "Arko von der Schwalm" und die Mutter "Asta v. Mondkuhlenberg" heißt in Wirklichkeit "Asta im Sande". Diese Namensumstellungen haben möglicherweise zur bisher falschen Interpretation als Leonberger-Wurf beigetragen.
Ein Neufundländer war dabei
Gesichert ist die Einkreuzung eines Neufundländers zu Beginn der Hovawart-Zucht. Bob (Saeger) war ein reinrassiger, schwarzer Neufundländer, dessen Eltern Horst von Holzhausen NZB 1783 und Wanda Warin NZB 1877 im Zuchtbuch des Deutschen Neufundländer Klubs (DNK) registriert sind. In den späteren HVS Wurfmeldescheinen steht bei den Ahnen oftmals der Verweis "N.Z." für "Neufundländer-Zuchtbuch". Bob (Saeger) taucht einfach so ohne Zuchtbuchnummer und Farbbezeichnung im Zuchtbuch auf als Vater des A-Wurfes von Alwin Busch vom 12.10.1924. Vater "Horst v. H." und Mutter "Wanda W." Im Neufundländer-Zuchtbuch findet sich genau eine solche Verpaarung von Horst von Holzhausen und Wanda Warin, registriert als B-Wurf "von Qualitz" mit Geburtsdatum 20.06.1922. Es spricht sehr viel dafür, dass es sich bei dem schwarzen Rüden "Bob von Qualitz" NZB 2106 aus diesem Wurf um genau denselben Hund handelt, der als Bob (Saeger) ins Hovawart-Zuchtbuch eingetragen wurde.
Die Hovawart-Typhunde
Die zahlenmäßig wichtigsten Gründertiere der Hovawart-Zucht bildeten aber die sogenannten "Typhunde", die nicht aus kontrollierter Rassehundezucht stammten, sondern aus der Harzer Umgebung von Thale. Diese Typhunde - ohne Ahnentafeln bzw. ohne bekannte Eltern - wie z.B. Mohr Rogasch, Moor Barniske, oder Dina Brüser, wurden nach bestandener Anlagenprüfung vollkommen gleichberechtigte Zuchthunde wie solche aus kontrollierten Rassehunde-Zuchten.
Im Jahr 1924 nahm die planmäßige Hovawart-Zucht richtig Fahrt auf. Mit erstmals nach Hovawart-Körschema selektierten Zuchttieren. Der Hovawart-Verein erfährt eine vielversprechende Anfangsblüte und die Weggefährten, die Kurt F. König für seine Idee gefunden hat, entwickeln Eigenengagement. König hat auch andere Mitglieder in Funktionen wie Zuchtwart oder Körrichter eingewiesen, wie die Unterschriften von Michael Vondram, Artur Becker oder Alwin Busch auf den erhaltenen Einzel- und Wurfmeldescheinen belegen.
Nach einem 4-jährigen Auslandsaufenthalt in Österreich kehrt König 1930 mit Familie wieder in den Harz zurück und bekommt im HVS auch sehr schnell wieder seine Position als Zuchtwart. Er unterzeichnet selbst den Wurfmeldeschein des C-Wurfes der Züchterin Frl. Marta Meyer vom 20.03.1932 mit Wurfstärke 5/1. Die Hunde heißen zu dem Zeitpunkt Cody Meyer, Cito Meyer usw.
Nun hat Frl. Meyer ihre Hündin Cenzi Brüser 138/26 offenbar zur Aufzucht dieses Wurfes an Alwin Busch übergeben. Ins Zuchtbuch wurde dann als Züchter eingetragen "Meyer (Neuß) - Busch (Thale)", so dass fortan alle Hunde des Wurfes den Doppelnamen "Meyer-Busch" trugen. Und genau in diesem Wurf fiel ein Hund, der fortan die gesamte Hovawart-Zucht prägen sollte: Castor Meyer-Busch 230/32!
Castor Meyer-Busch 230/32
Wodurch hat sich Castor Meyer-Busch derartig ausgezeichnet und von den bisherigen Zuchttieren abgehoben? Der Blick auf seinen Körschein verrät es: In sämtlichen Kategorien konnte Castor Meyer-Busch ausschließlich Einträge mit der Bewertung "v" (vorzüglich) bis "sg" (sehr gut) aufweisen! Er war damit DER Prototyp des Hovawarts überhaupt. Er verkörperte wie kein anderer Hund das erfolgreichste "Produkt" der Hovawart-Herauszüchtung. Er war gleichbedeutend mit der Erreichung des Zuchtziels, das König und seine Mitstreiter sich gesetzt hatten. Und Castor Meyer-Busch bestätigte diese Leistungen immer wieder und wurde mehrfach Körsieger. Diese Beständigkeit und Konstanz in den gewünschten Eigenschaften war mit Sicherheit ausschlaggebend dafür, dass Castor Meyer-Busch in den folgenden Jahren bis 1941 systematisch mit 30 Verpaarungen und 166 eigenen Nachkommen in jede Blutlinie eingekreuzt wurde, die zur Weiterzucht Verwendung fand. Heute lässt sich jede existierende Hovawart-Blutlinie auf Castor Meyer-Busch zurückführen.
Afrikanische Wildhündin?
In der bisherigen Literatur zur Hovawart-Zuchtgeschichte wird stets noch eine afrikanische (Wild-) Hündin namens "Tessa" erwähnt, die in der Kriegszeit eingekreuzt worden sei. Dies kann anhand des Studiums des Hovawart-Zuchtbuchs 1922-1950 widerlegt werden. Die einzige dort aufgenommene Hündin aus Afrika ist die schwarze Hündin „Freya“ des Züchters Fangda Fazelo, Angola, Westafrika, mit Wurftag 27.10.1939, die mit dem Vermerk „Eltern unbekannt“ und „(Rückschlag)“ als Nr. 721/39 ins Zuchtbuch eingetragen wurde. Mit ihr wurde jedoch niemals gezüchtet. Es gibt keinerlei Wurfeinträge mit "Freya" als Mutter.
Eine Hündin namens "Tessa", mit der auch weiter gezüchtet wurde, findet sich tatsächlich im o.g. Zuchtbuch. Jedoch kommt Tessa 763/40 nicht aus Afrika. Über die Eltern von Tessa ist vermerkt „Original gelbe Bauernhunde aus Westeuropa“ und ihre Farbe wird mit „blond“ angegeben. Castor Meyer-Busch war höchstpersönlich Vater des Tessa-Wurfes vom 12.03.1941, dessen Nachkommen noch in der heutigen Hovawart-Population zu finden sind.
Die genetischen Anteile der verschiedenen Ausgangshunde der Hovawart-Zucht lassen sich nun neu berechnen. Die genauen Anteile variieren in den verschiedenen Linien nach Castor Meyer-Busch.
Die Nachkommen aus der Verpaarung von Castor Meyer-Busch mit der Hündin Bissula Königer 184/28 haben den höchsten Neufundländer-Anteil mit 22% (Typhund 53%, Schäferhund 25%). Die Nachkommen aus der Verpaarung mit Billa Liesecke 286/34 haben den größten Schäferhund-Anteil mit 26% (Typhund 60%, Neufundländer 14%). Und den größten Typhund-Anteil haben die Nachkommen aus der Verpaarung mit Tessa Zootechnische Station 763/40 mit 78% (Schäferhund 13%, Neufundländer 9%). Im Mittel über alle Linien nach Castor Meyer-Busch ergeben sich die Anteile Typhund 65%, Schäferhund 20% und Neufundländer 15%. Im Wesentlichen sind es also die zuletzt genannten genetischen Anteile, mit denen wir es heute immer noch zu tun haben.
Doch noch ein Leonberger?
Es gab in der Hovawart-Zucht immer wieder Gerüchte um eingekreuzte Leonberger und/oder Neufundländer. Und bei genauer Recherche lassen sich dazu tatsächlich auch Daten und Dokumente finden. In der unmittelbaren Nachkriegszeit, als durch die Teilung Deutschlands in Besatzungszonen keine Möglichkeit bestand, die Zucht durch optimal geeignete und gleichzeitig bzgl. Verkehrsmitteln erreichbare Deckrüden aufrecht zu erhalten, hat das Ehepaar Ursula und Heinz Müller aus Quedlinburg am Harz im Jahr 1946 einen Leonberger-Rüden mit einer Hovawart-Hündin verpaart. Dies hat in der Folge unter den Hovawart-Züchtern in der sowjetisch besetzten Zone und der späteren DDR zu heftigen Vorwürfen geführt. Die DDR-Züchter haben schließlich beschlossen, alle Nachkommen aus dieser Verpaarung aus den Zuchtbüchern zu streichen und eine Weiterzucht mit Nachkommen aus dieser Verpaarung wurde unterbunden.
Die Vereine, die in den Jahren 1948 bis 1988 außerhalb des VDH den Hovawart weiter züchteten, schlossen sich z.T. zu größeren Verbänden zusammen. Im Internationalen Hovawart-Verband (IHV) wurde am 29.12.1969 der K-Wurf von Gila eingetragen. Vater: Troll vom Winklerhaus (Neufundländer/Hovawart), Mutter: Inka von Bechtoldsheim (Leonberger)!
Dieses Vorgehen der damaligen Zuchtleiterin Gisela Kroll hat zu einer tiefen Spaltung des IHV geführt. Dieser Wurf mit allen Nachkommen wurde zwar später überall mit einem "R" (für "Register") vor der Zuchtbuchnummer gekennzeichnet, aber diese ganze Dokumentation wurde in dem Moment ignoriert, als die IHV-Nachfolgeorganisation - die Hovawart-Zuchtgemeinschaft Deutschland e.V. (HZD) - die Mitgliedschaft im VDH beantragte und Zuchthunde der Vorgängerorganisation einfach durch Sichtung zu VDH-Hovawarten anerkannt wurden. Auf diese Weise ist das Leonberger- und Neufundländer-Erbgut aus dem Jahr 1969 in die heutige VDH-Zuchtpopulation hinein getragen worden, über Hunde wie z.B. Ajo vom Elfengrund, Carat v. Schröder-Torsholt, Dela vom Hohenberg oder Ares vom Bischofsreuth. Seit 1969 - ca. 11 Generationen später - heute nun ziemlich verdünnt, aber in den entsprechenden Linien eben immer noch vorhanden.
Am 03.05.1930 kam der A-Wurf des Züchters Max Neumann in Thale zur Welt. Den Wurfmeldeschein (oben) hat damals - zum Glück(!) - der Züchter selbst ausgefüllt. Und zwar vollständig und mit hervorragend lesbarer Handschrift.
21.08.2023
Weitere Neufundländer identifiziert
Der eingesetzte Rüde - Ajax Barniske - geht väterlicherseits u.a. zurück auf Minka vom Bayernwald, nach deren Zuchtdaten ich schon lange gesucht habe. Und hier stehen erstmals auch die Eltern von Minka mit drin: Munko Balingen und Senta vom Berg. Und die habe ich beide in der Neufundländer-Datenbank gefunden. Somit ist Minka vom Bayernwald als Neufundländer identifiziert! Bei der Gelegenheit habe ich auch gesehen, dass der Vater von Moor II Barniske nicht Bob von Radegast ist, sondern Job von Radegast - ein Übertragungsfehler in den historischen Zuchtunterlagen!
Munko Balingen und Senta vom Berg hatten eine Nachfahrin Minka Erisdorf, die am 28.09.1923 geboren wurde. Diese wurde unbenannt zu Minka vom Bayernwald. Aus einer Verpaarung von Minka mit Job von Radegast ging Moor von Schloß Egg hervor, geboren 18.05.1926. Und dieser ging in die Hovawart-Zuchtgeschichte ein als Moor II Barniske. Somit steht fest: Auch bei ihm handelt es sich zweifelsfrei um einen reinrassigen Neufundländer!
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